Ich bin der Weinstock - Konversion

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26.11.1950

Geliebte im Herrn!
„Gott, unser Heiland will, dass alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen.“ (1.Tim. 2,4). Nicht allen ist aber der Weg dazu gleich schwer gemacht. Wer von Kindheit auf das Glück hatte, in der wahren Kirche Christi zu sein, katholische Eltern und Erzieher zu haben, in einer christlichen Atmosphäre aufzuwachsen, der kann dem lieben Gott dafür nicht genug danken. Oder, ist dies alles so selbstverständlich? Blick einmal um dich! Siehst du denn nicht, wie andere Menschen sich redlich abmühen, um das zu erringen, was du so selbstverständlich besitzest, nämlich die Wahrheit, für die Christus vor Pilatus Zeugnis ablegte, und für die auch wir Zeugnis ablegen sollten. Leider ist es eine Tatsache, dass mancher Katholik dieses unveräusserliche Gut nicht schätzt und mit Pilatus selbstverständlich sagt: Was ist Wahrheit? Wo fehlt es da? Seien wir ehrlich. Der Glaube hat uns zu wenig gekostet. Mit anderen Worten: Wir haben für den Glauben zu wenig Opfer gebracht. Oder ist es nicht so, dass uns jeder Gang zur Kirche zu viel ist, jede Messe mit Predigt zu lang, jede christliche Unterweisung zu altmodisch. Wo finden wir bei uns die Festigkeit der Katholiken des Ostens, für die heute der Gang zur Kirche mit dem Risiko des Lebens verbunden ist: und trotzdem füllen sich die Kirchen. – Wo finden wir bei uns den Opfergeist der Konvertiten, die die Wahrheit durch harte Prüfungen und durch Zerreissung inniger Bande erkämpfen mussten? Merken wir uns als warnendes Beispiel des Herrn die Parabel vom Weinstock: „Ich bin der wahre Weinstock und mein Vater ist der Weingärtner. Jede Rebe an mir, die keine Frucht bringt, entfernt er, und jede die Frucht bringt, reinigt er, damit sie noch mehr Frucht bringe.“ (Joh. 15, 1-2).

Geliebte im Herrn! Das Bild vom Weinstock war den Juden sehr geläufig. Die Propheten erklärten damit die unendliche Fürsorge Gottes seinem auserwählten Volke gegenüber. In der einfachsten Form gebrauchte es der Prophet Osee, wenn er sagt: „Ein rankender Weinstock ist Israel“ (10,1). Gott ist ihr Winzer. Israel konnte sich wirklich rühmen von Gott gehegt und gepflegt zu werden, wie der schönste Weinstock. Aus der Knechtschaft der Ägypter hat er sie herausgehoben und ins gelobte Land eingepflanzt, das „von Milch und Honig fliesst“. Und der Dank? Jahre, Jahrzehnte, Jahrhunderte wartete der Herr zu, ob er Früchte finde – und fand sie nicht. Die Frommen wurden verfolgt, die Propheten getötet, sein eigener Sohn gekreuzigt. Da hat er den Weinstock ausgerissen und weggeworfen. Das ist die tragische Geschichte Israels. – Nun hat aber der Weinbauer einen neuen Weinstock gepflanzt. Und der ist Christus. „Ich bin der Weinstock, ihr seit die Rebzweige.“ Kann sich die Geschichte des jüdischen Volkes an den Rebzweigen wiederholen? Das hängt ganz von dir ab. Der Zweig, der mit dem Stamm die Verbindung verliert, verdorrt allmählich und der Gärtner kommt und entfernt ihn völlig. Wer sich von Christus durch die Todsünde getrennt hat, und in diesem Zustand verharrt, dessen Gewissen schläft immer mehr ein. Er wird immer unempfindlicher und unempfänglicher für die Eingebungen der Gnade, immer höriger aber der Sünde. Was er früher etwa aus einem religiösen Elternhaus oder aus christlicher Erziehung noch an religiösen Regungen besass, stirbt allmählich ab. Und „wer nicht hat, dem wird noch genommen, was er hat.“ (Mt. 13,12). So muss er schliesslich das Schicksal der fruchtlosen Rebzweige teilen: „Man legt sie zusammen und wirft sie ins Feuer, wo sie dann brennen.“ Möge der Gedanke an diesen Schrecken heilsam sein!

Meine lieben Christen! „Jede Rebe aber, die Frucht bringt, reinigt der göttliche Winzer, damit sie noch mehr Frucht bringe. „Sobald Gottvater merkt, dass ein Mensch es wirklich ernst nimmt mit seinem Glauben, mit seinem Verhältnis zu Christus, macht er es wie der Winzer, der die überschüssigen Triebe abschneidet, damit aller Saft zum Hauptzweig hinaufsteige und die Frucht zur Vollreife bringe. Der Mensch mag noch so gut sein, er teilt doch allzu gerne seine Kräfte auf, bald nach einem eitlen Objekt, bald nach einem solchen der Sinnlichkeit, Bequemlichkeit usw. Zersplittert dadurch seine seelischen Kräfte und bringt sich um die Heiligkeit, die er erreichen könnte. Darum lässt Gott durch äussere Missgeschicke die Seitentriebe abschneiden und durch Leiden seine Gesinnung läutern, dass schliesslich sein ganzes Leben auf Christus gerichtet bleibt. Es ist also gar kein schlimmes Zeichen, und ganz anders als Weltmenschen und oft auch gute Menschen urteilen, wenn Gott einen braven, Christus treu ergebenen Menschen scheinbar so im Stiche lässt, ja geradezu verfolgt und quält: Der himmlische Weingärtner hat gemerkt, dass das eine kostbare Rebe ist, die viel Frucht bringen kann.

Geliebte im Herrn! Seien wir daher nicht traurig, wenn Gottes Hand uns Wege führt, die einstweilen nicht durchsichtig sind, Wege führt die oft suchende Menschen fremd anmuten, Wege führt, die von Gottverlassenheit zeugen möchten. – Maria Magdalena weinte am Ostermorgen am Grabe, und antwortete den fragenden Engeln! „Man hat meinen Herrn genommen, und ich weiss nicht, wohin man ihn gelegt hat.“ Und dabei war ihr der Herr näher als sie ahnte. Denn als sie sich umwandte, stand er selbst unerkannt vor ihr. Sie hört ihren Namen von göttlichen Lippen gesprochen: Maria. So steht auch Jesus Christus heute, geehrte Konvertitin vor ihrer Seele und ruft sie bei ihrem Namen. Und sie kommen an seinen Altar, erneuern hier das Taufgelübde; sie kommen an seinen Altar empfangen ihn persönlich zum ersten Mal in ihrem Leben. Wir begreifen ihre Freude, es ist wahre Osterfreude, auch wenn es am Schluss des Kirchenjahres ist. Wir teilen diese Freude mit ihnen und danken dem lieben Gott dafür. Es ist die Frucht seiner grossen Gnade und ihres ehrlichen Bemühens. „Wer in mir bleibt und in wem ich bleibe, der bringt viele Frucht.“

Amen.





(Anmerkung: Das Original dieser Predigt wurde ursprünglich mit einer Schreibmaschine geschrieben und dann teilweise manuell nachkorrigiert. Dies führt dazu, dass einzelne Wörter, welche nicht eindeutig lesbar waren «rekonstruiert» werden mussten. Der Inhalt wurde dadurch aber nicht verfälscht.)