Leben in Christus

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23.04.1950

Geliebte in Christus!

Habt ihr einmal darüber nachgedacht, mit welchem Recht ich euch da anrede, Geliebte in Christus. Ist damit so ein Gruss verstanden wie „guten Tag“, auch wenn das Wetter schlecht ist? Ist damit ein Wunsch ausgedrückt, wie etwas „gute Besserung“, bei einem Fall, wo doch niemand mehr daran glaubt? Kurz gesagt: Ist daran überhaupt etwas Wahres oder nicht? Um darauf eine Antwort geben zu können, müssen wir die Anrede näher ins Auge fassen. Geliebte im Herrn! Geliebt sein heisst: Wohlwollen finden bei andern aus irgendeinem Beweggrunde, sei es wegen natürlichen Vorzügen des Körpers oder des Geistes, sei es wegen übernatürlichen Überlegungen: weil wir Geschöpf sind, Kinder Gottes, Glieder Christi und Miterben des Himmels. Das erste trifft nicht zu. Rein natürliche Beweggründe fallen weg. Worin liegt aber der springende Punkt, der Kern der Wahrheit in dieser Anrede? Auf dem Worte in Christus. Wir sind untereinander verbunden in Christus Jesus, der zu allem das gleiche Wohlwollen hat. Und je mehr wir mit Ihm verbunden sind desto wahrer wird die Anrede.

Meine lieben Christen! Der heilige Paulus verwendet in seinen Briefen 164-mal die Formel „in Christus, in Christus Jesus, im Herrn“. Der Völkerapostel drückt damit die innigste Gemeinschaft des Christen mit dem lebenden Christus aus. Jeder Mensch, der den christlichen Glauben angenommen hat und getauft ist, wird gleichsam eine neue Schöpfung (2. Kor. 5,17) durch die heiligmachende Gnade; er lebt in Christus so lange er ohne schwere Sünde ist. Und so kommt es, dass Paulus schreiben kann: „Der Christ freut sich im Herrn, müht sich im Herrn, redet in Christus, betet und ermahnt in Jesus Christus, er schreibt im Herrn, sagt die Wahrheit in Christus. Die Leiter der Gemeinden: Bischöfe, Priester, Diakone empfangen ihr Amt im Herrn und üben es aus im Herrn. Christen beherbergen einander im Herrn, sie heiraten im Herrn, sie entschlafen im Herrn“. Damit sagt er klar, dass alles Denken, Tun und Leben des Christen in engster Gemeinschaft mit Christus geschehen muss. Wer in Christus hineingetauft ist, ist mit Ihm in innigste Gemeinschaft getreten, die es aber von Tag zu Tag neu zu verwirklichen gibt, bis zu jenem Endpunkt, wo wir sagen können: „Nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir.“ Doch wie weit sind wir von diesem Ideal entfernt? Weil wir nicht danach streben, weil wir opferscheu geworden sind; weit sind wir davon abgekommen, weil unser Interesse sich um das kleine ich kreist, und der allumfassenden Liebe Jesu Grenzen setzt. Wo ist hier Abhilfe zu schaffen?

Meine lieben Christen! Wie jedes organische Leben ohne Nahrung verkümmert, - denken wir an die Zimmerpflanze: gebe ich ihr kein Wasser, so welkt sie; an des Pferd: entziehe ich ihm die Nahrung, so weicht seine Kraft - ebenso geschieht es mit dem übernatürlichen Leben des Menschen, mit dem Leben in Christus, es verkümmert ohne Zugabe. Die Taufe allein genügt nicht. Dazu braucht es eigene Mitarbeit: Beten, Fasten, Almosen, geduldiges Leiden, Gehorchen. Ein Sakrament besitzen wir, dem in dieser Hinsicht an Grösse nichts gleichkommt: die heilige Eucharistie. Stellt alle guten Werke der Welt einer guten Kommunion gegenüber, es ist wie ein Staubkörnlein neben einem Gebirge (Pfr. von Ars). „Dieses heilige Sakrament“, so lehrt das Konzil von Trient, „wird uns von den täglichen Fehlern reinigen und von Todsünden bewahren.“ Damit bleiben wir immer mit Gott verbunden, was Christus auch schon bei der Verheissung der Eucharistie versprochen hat, mit den Worten: „Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, der bleibt in mir und ich in ihm. Wie mich der lebendige Vater gesandt hat und ich durch den Vater lebe, so wird auch der, welcher mich isst, durch mich leben“ (Joh, 6.56). Christus ist das lebendige Brot, das vom Himmel herabgekommen ist. Christus ist das tägliche Brot, um das wir in der Vaterunser Bitte flehen.

Aber, meine lieben Christen, dieses Brot bedeutet nicht nur Nahrung, sondern es ist auch nach den Kirchenvätern Symbol für etwas noch Höheres: Denn wie das Brot aus vielen Weizenkörnen zu einer Einheit zusammengesetzt wird, so werden auch wir untereinander und mit Christus verbunden. „Nicht von einem andern Leib wirst du, und nicht von einem andern jener ernährt“, sagt der heilige Chrysostomus, „sondern alle von demselben. Wenn wir aber alle an demselben teilnehmen, und wenn wir auch alle dasselbe werden, warum zeigen wir dann nicht dieselbe Liebe, und bilden auch in dieser Hinsicht eine Einheit? Es ist das schönste und beglückendste Schauspiel des christlichen Brudersinnes und des sozialen Ausgleiches, wenn hoch und niedrig, arm und reich, Gebildete und schlichtes Volk sich um den heiligen Altar schaaren und ohne Unterschied des Ranges oder des Standes am gleichen Gastmahl teilnehmen (Leo XIII). Warum soll dieses Bild nur an der Kommunionbank bestehen? Warum nicht hinausgetragen werden in die kleine Welt unserer Umgebung am Arbeitsplatz? Christus ist nicht nur in dir, sondern auch in deinem Nächsten. Der gleiche Christus, der gleiche Gott! Fällt es uns schwer, dann gehen wir fleissiger zum Tische des Herrn! Dort werden wir es lernen. Fort mit jener irrigen und unheilvollen Auffassung, die häufige heilige Kommunion sei nur privilegierten vorbehalten! Fort mit jenen Behauptungen: ich gehe weniger zum Tische des Herrn, aus Ehrfurcht oder um es nicht zur Gewohnheit werden zu lassen! Das ist falsche Ehrfurcht, das ist Selbsttäuschung, als ob es keine Mittel gäbe die heilige Kommunion jedesmal zu einem neuen Beweis unserer Liebe zu gestalten, wie wir es am letzten Sonntag gehört haben.

Geliebte im Herrn! „Das heiligste Sakrament verwandelt sich nicht in unser Wesen wie Brot und Wein; im Gegenteil, wir werden im gewissen Sinne in sein Wesen umgewandelt.“ (Cat.Rom.). Wir werden Glieder des mystischen Leibes dessen Haupt Christus ist. Wir werden Brüder untereinander, Brüder in Christus. Versteht ihr also, warum die Anrede: Geliebte in Christus, wahr ist, weil dann Christus in uns lebt und wir in Christus leben, und wir in Christus alle lieben können, als Vorahnung der ewigen wahren Liebe Gottes im Himmel.

Amen.





(Anmerkung: Das Original dieser Predigt wurde ursprünglich mit einer Schreibmaschine geschrieben und dann teilweise manuell nachkorrigiert. Dies führt dazu, dass einzelne Wörter, welche nicht eindeutig lesbar waren «rekonstruiert» werden mussten. Der Inhalt wurde dadurch aber nicht verfälscht.)