Das Fegfeuer
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12.11.1950
Geliebte im Herrn!
Vergänglich ist alles Irdische. Zeigt es dir nicht die schönste Blume, die der Reif über Nacht gewelkt; zeigt es dir nicht der Monat November, mit seinen ergreifenden Bildern von Sterben und Vergehen? Durch die kahlen Bäume heult der Wind und treibt die letzten dürren Blätter über die Strasse vor dir her. Die Berge sind verhängt von dicken, schweren Nebeln und reden die Sprache der Trauer, die diese Jahreszeit umgibt. Der Mensch pilgert sinnend an der Kirche vorbei zum Friedhof, wo er am Grab lieber Verstorbener die letzten Chrysanthemen niederlegt und fromme Bitten zum Himmel sendet. Im schwarzen Chormantel schreitet der Priester mit seinen Ministranten durch den stillen Gottesacker und betet das ergreifende Requiem aeternam. Überall in unserer Kirche die gleiche Sprache der Liturgie, der gleiche Glaube an die Verstorbenen. Diesen Glauben möchten wir heute wieder neu beleben, um noch mehr der Armen Seelen zu gedenken. Diesen Glauben wollen wir daher in uns vertiefen mit zwei Fragen: 1. Gibt es ein Fegfeuer? 2. Was ist das Fegfeuer?
Geliebte! Gibt es ein Fegfeuer? Sagt nicht schon unser gesundes Denken und Empfinden, es muss einen Reinigungszustand nach dem Tode geben? Oder sterben nicht viele Menschen, die für den Himmel zu wenig heilig, aber auch nicht so schlecht sind, dass sie in die Hölle kommen? Wo bleiben nun diese? Mehr oder weniger klar findet sich diese Überzeugung schon bei manchen vor- und nichtchristlichen Völkern und Denkern, sodass der protestantische Gelehrte Thiersch (1948) gestand: „Für den Glauben an einen Reinigungsort liesse sich fast eine Übereinstimmung der Völker nachweisen.“ Der heidnische Philosoph Plato aus Griechenland schrieb im dritten Jahrhundert vor Christus: „… wieder anderen Verstorbenen verschafft die auferlegte Busse über Schmerz und Leiden Nutzen, jenen nämlich, die heilbare Fehler begangen haben.“ Und der vorchristliche Denker Seneka aus Rom tröstet seine Mutter über den Tod ihres Sohnes mit folgenden Worten: „Eine kurze Frist noch muss die Seele verweilen, bis sie gereinigt ist. Dann schwingt sie sich zum Himmel und eilt zum Reigen der seligen Geister.“ Sind diese Stimmen aus der Heidenwelt nicht mehr als ein blosses Erahnen unserer christlichen Glaubenswahrheit? Was sagt nun die Bibel darüber? Deutlich spricht sie über die Existenz des Fegfeuers. „Es ist ein heiliger und heilsamer Gedanke für die Verstorbenen zu beten, damit sie von ihren Sünden erlöst werden.“ (2.Mack. 12,46). Für die Verdammten in der Hölle zu beten hat keinen Sinn; denn immer wieder betont dieselbe hl. Schrift: dass die Hölle ewig dauere. Für die Seelen im Himmel zu beten hat wiederum keinen Sinn, denn dort geht nach der Geheimen Offenbarung (21,27) nichts Unreines ein. So baut unser Glaube an jenen dritten Ort auf felsenfesten Grund. Aus der Bibel ist noch der Ausspruch Christi bemerkenswert: „Es gibt Sünden, die weder in diesem, noch im andern Leben vergeben werden.“ (Math. 12,32). Deutet das nicht an, dass gewisse Sünden auch nach dem Tode Vergebung finden können: nämlich die lässlichen, und zwar durch das Fegfeuer. Diese Ansicht bestätigen nicht nur in überraschenderweise die altchristlichen Grabinschriften in den römischen Katakomben (Pahle III S.688) sondern auch die ganze Tradition. Das zweite allgemeine Konzil von Lyon hat dann im Jahre 1274 den Glauben an die Existenz des Fegfeuers zum Dogma erhoben, dem die Orthodoxe Kirche auch beipflichtete, nicht aber die Reformatoren, die mit der Tradition brachen. Als Kardinal Newman noch Protestant war, kamen ihm Zweifel, ob die protestantische Anschauung, die ursprünglich christliche sei, und er wollte bei der Untersuchung an einem Beispiel sich klar machen, ob die ältesten Kirchenväter und kirchlichen Schriftsteller den Protestanten oder den Katholiken zustimmten. Er wählte die Lehre vom Fegfeuer und stellte darüber alle Schriftstellen zusammen. Die rechte Seite war für die protestantische, die linke für die katholische Auffassung bestimmt. Aber siehe, die rechte Seite blieb leer, die linke füllte sich immer mehr und mehr, bis ihm die volle Klarheit wurde: die katholische Lehre ist die ursprüngliche. Er folgte der Erkenntnis und wurde katholisch. Der Felsengrund des Glaubenssatzes zog ihn ganz herüber zur Felsenkirche.
Geliebte im Herrn! Was ist das Fegfeuer? Der deutsche Ausdruck Fegfeuer ist irreführend, denn die Kirche sagt in ihren Entscheidungen nur, dass es einen Reinigungsort gibt und dass die darin festgehaltenen Seelen durch die Fürbitte der Gläubigen vor allem durch das Gott wohlgefällige Opfer des Altares Hilfe finden (Konzil von Trient). Über Art und Weise der Läuterung und ihre Dauer hat Gott den Schleier des Geheimnisses gelassen. Auch können wir im Weltall keinen Platz als Reinigungsort feststellen, trotz vielen sonderbaren Erlebnissen von Menschen. Tradition sagt bloss, dass es ein Zustand der Pein sei. Denn nach dem Tode sieht die Seele sogleich ihre Unfertigkeit im Lichte göttlicher Wahrheit und Heiligkeit, sieht die anhaftenden Sündenstrafen, die lässlichen Sünden, die sündhaften Neigungen, Versäumnisse von Gnaden und Sakramenten. Ohne Selbsttäuschung fällt nun ihr Urteil mit dem Urteil Gottes überein. Und weg muss die unreine Seele von Gott, ihrer einzigen Sehnsucht, aus eigener Schuld. Dieser Schmerz wird umso grösser, je mehr sie sich von Gott zurückgestossen fühlt. Dazu nehmen die meisten Theologen an, das Gott noch besondere Bussleiden verhängt. Einige nennen es Feuer, wie der Gottesgelehrte Augustinus: „Das Feuer des Reinigungsortes wird qualvoller sein, als alles, was der Mensch in diesem Leben erleiden kann.“ (in Ps. 73,3). Andere Theologen, wie der hl. Thomas erklären einfach: „Die Qualen dieser Welt sind mit denen des Reinigungsortes nicht zu vergleichen.“ (exp. Symb.). Ein Trost aber bleibt den Armen Seelen: Sie sind gerettet.
Meine Lieben! Es gibt ein Fegfeuer. Es ist ein Ort der Pein für die Armen Seelen. Es liegt in unserer Hand diese Pein abzukürzen. Darum wollen wir im Monat November die Mahnung des Konzils von Trient beherzigen: „Die im Reinigungsorte festgehaltenen Seelen finden Hilfe durch die Fürbitte der Gläubigen vor allem durch das Gott wohlgefällige Opfer des Altares“, auf dass auch wir einst Gottes Barmherzigkeit und die Mithilfe der Lebenden erfahren.
Amen.