Missionssonntag

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21.10.1946 / Gehalten in der Seminarkirche von Chur

Was nützt es meine Brüder, wenn einer sagt, er habe Glauben, hat aber keine Werke? (Jak 2,14)

Meine lieben Christen!
Es ist etwas ergreifend Schönes, das tiefe Glück eines Menschen zu sehen, der nach jahrelangen Suchen aus dem Dunkel des Irrglaubens und Aberglauben das Licht des wahren Glaubens gefunden hat. Aus dem strahlenden Leuchten des Auges spricht deutlicher als es Worte sagen könnten, das Beseligende des gefundenen Glaubensglückes. Und dies ist nicht nur vorübergehend. Es ist vielmehr die tiefe Freude, nun ganz die Wahrheit besitzen zu dürfen und damit einem grossen, sicheren Ziel hinstreben zu können. Heute nun am Weltmissionssonntag, der der besonderen Unterstützung der Heidenmission gewidmet ist, wollen wir uns, meine lieben Christen wieder so recht bewusstwerden,
1. was wir an unserem katholischen Glauben haben und
2. was uns aus diesem unfassbaren Besitz erwächst!

Meine lieben Christen!
Von Kindheit an sind wir in das Reich des wahren Glaubens hineingestellt und wissen eigentlich kaum, was wir damit an Lebenskraft und Lebensmacht besitzen. Welch erhabene übernatürliche Wirklichkeit ist doch mit unserem Christsein gegeben! Schauen wir nur einmal auf unser Gebet. Vater unser so lautet es schon am Anfang. Sind wir uns dabei auch bewusst, was das heisst: Gott unser Vater nennen zu dürfen? Zu wissen, dass nicht irgendein Zufall oder ein böses Verhängnis uns ins Dasein gerufen hat? Dass vielmehr Gottes Vatergüte uns natürliches und übernatürliches Leben gegeben, dass diese Güte Tag um Tag uns sorgend erhält und mehr um unsere Not weiss und sie mit uns teilt, als der gütigste und beste irdische Vater es tun könnte. Denken wir in stiller Stunde etwas tiefer nach über diesen übernatürlichen Reichtum: Kinder Gottes zu heissen und es auch zu sein.

Das Glück, unter dem Schutze des Ewigen geborgen zu sein war schon den Israeliten im alten Testament geschenkt. Doch das Judenvolk sah in ihm mehr den gewaltigen, Furcht und Scheu erweckenden Herrscher. Ganz anders ist das Verhältnis des neutestamentlichen Menschen zu Gott. Mit der Menschwerdung des Sohnes Gottes erschien die Güte und Menschenfreundlichkeit selbst und machte uns Menschen den Weg zu Ihm so viel leichter. So gross war die Vaterliebe, dass er seinen einzigen Sohn zu unserer Seelenrettung auf die Erde sandte und am Kreuze sterben liess. Aber damit wollte er uns zeigen, dass wir nicht wertlos und verlassen sind, wie ein Körnlein im Wüstensand. Nein, im Mittelpunkt sind wir gerückt, weil wir einen grossen Bruder bekommen haben: Christus ist einer von uns.

Doch im Augenblick, wo wir verstehend ahnen, was Gott für unsere Seele Grosses getan und was Unbegreifliches Christus in seiner Liebe uns geschenkt hat, tritt vor uns die bange Frage, sind wir auch fähig unser Leben nach dieser Berufung zu gestalten? Da kommt uns der Glaube wieder entgegen und zeigt uns den erlösenden und beglückenden Weg. Es sind die grossen Gnadenmittel, die alle aus dem Kreuzesopfer Christi fliessen. Besonders ist es der siebenfache Lebensstrom der hl. Sakramente, der uns immer neues Leben und Kraft vermittelt, uns immer mehr von dieser armen Erde loslöst, und im Reich der Übernatur verwurzelt. (Eph 3.15)
Wie arm, wie bettelarm sind doch die Menschen, die aus diesem siebenfachen Lebensstrom nicht trinken dürfen, die nicht einmal von ihm wissen, wie die armen Heiden. Welcher Reichtum und welche Freude hingegen liegt in dem erhebenden Bewusstsein, durch den göttlichen Erlöser solche Gnaden-, Lebens- und Freudenströme zu besitzen, die uns die Kraft vermitteln das Leben der Gotteskindschaft in Würde und treue leben zu können.

Wahrhaftig, Christus wollte uns die vollkommene Freude bringen, indem er durch sein Kreuzesopfer nicht nur die Schäden der Erbsünde in uns überwand, sondern unser Leben in eine ganz neue, höhere Daseinsweise hineinhob: in das Leben der Gnade. Darum ist unser Glaube nicht nur Teilnahme an der göttlichen Erkenntnis, sondern auch Vorwegnahme der göttlichen Herrlichkeit und wir können mit Paulus sagen: „Nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir.“ (Gal. 2.20)

Andächtige im Herrn!
Mit dieser kurzen Betrachtung wollten wir nur einige der grossen Grundwahrheiten unseres heiligen Glaubens auffrischen. Aber wir dürfen nicht beim Besitz der Wahrheit stehen bleiben. Wir kennen ja die Worte des heiligen Apostel Jakobus: „Was nützt es, meine Brüder, wenn einer sagt, er habe Glauben, hat aber keine Werke? Kann denn der Glaube ihn retten?“ – Wie hat der hl. Völkerapostel Paulus Trübsal und Bedrängnis, Hunger und Blösse, Kerkerstrafe und Misshandlung auf sich genommen, um nach seiner Glaubensüberzeugung zu Leben und sie weiterzupflanzen. Gerne litt er das, um den anvertrauten Seelen das wahre Leben zu vermitteln und an ihrer Verherrlichung mitzuwirken.

Und wem verdanken wir in unserer Gegend die erlösende Lehre Christi? Haben nicht der hl. Luzius und die hl. Emerita, der Legende gemäss, angenehmes Leben, Königsherrschaft und Vaterland aufgegeben, um in unsere Gegend das Christentum zu bringen? Was treibt im ausgehenden Mittelalter einen hl. Franz Xaver in ferne, gefahrenvolle Länder wie Indien, China und Japan wenn nicht der lebendige, freudige Glaube, der nach der Tat ruft? So hat es viele gegeben, welche aus freudiger Dankbarkeit gegenüber Gott für die Glaubensverbreitung die grössten Opfer auf sich nahmen. In neuerer Zeit erregte eine Tat grosses Aufsehen in der ganzen Welt. Pater Damian de Veuster, ein kräftiger Bauernsohn aus Flandern hatte für Christus väterliche Scholle, Heimatland und Leben aufgeopfert, um die Toteninsel im stillen Ozean zur Insel des Lebens umzuwandeln, um auf Molokei, wo der grausame Aussatz täglich seine armen Opfer fordert, selbst ein Opfer des Aussatzes zu werden. Nennt man das nicht heroisch ernst gemacht mit seiner Glaubensüberzeugung? – Auch heute mühen sich tausende von Priestern, Missionsbrüdern, Schwestern und Laien auf den Aussenposten unserer Kirche ab. Wir kennen vielleicht selbst einige davon aus der Verwandtschaft oder aus unserem Bekanntenkreis. Auch sie befolgen unter grosser Anstrengung und Entbehrungen die Worte des Herrn. „Geht hinaus in alle Welt, taufet und lehret!“ (Mt. 28.19)

Und wir? Was bleibt denn uns übrig für die Mission zu tun? Sind wir nicht genug vom Alltag in Beschlag genommen, die wir in Werkstätten, im Haushalt oder am Studiertisch keine Zeit für etwas anderes haben wollen? Persönlich können wir nicht ins Heidenland gehen, „wenn auch die Ernte gross ist, und der Arbeiter wenige sind. Doch bitten können wir den Herrn der Ernte, dass ER Arbeiter in seine Ernte sende“

Ja, beten wollen wir und unseren heiligen Vater, dem die Mission vor allem ein Herzensanliegen ist unterstützen, wie das heutige Evangelium mahnt, nach Möglichkeit. Nehmen wir uns vor hie und da auch eine Werktagsmesse zu besuchen oder wenigstens mit einem kurzen Kirchenbesuch der Mission zu helfen. Und wenn eine Sache des Almosens wert ist, so gewiss das Werk der Weltmission, denn ohne das hättest auch Du nicht dein Glaubensglück. Von Zeit zu Zeit geben uns die Missionäre Aufschluss über ihre Arbeit und ihre Nöte. Bedenken wir, dass hinter jedem dieser Briefe eine grosse Zahl von Heidenkindern steht, die ihre mageren und unerlösten Arme nach uns ausstrecken und flehend rufen, lieber Christ, erbarme dich meiner! Meine lieben Christen, wir besitzen einen Vater im Himmel. Wir haben einen Bruder hier auf Erden. Er ist für unsere Sünden in den Tod gegangen, damit wir durch seine Gnade wieder zum Vater gelangen können. Zeigen wir uns heute und immerdar dankbar gegenüber unserem Bruder Jesus Christus, der in jedem armen Menschen ist; und dann wird auch er einst dich als seinen Bruder und seine Schwester dem himmlischen Vater vorstellen.

Das gebe Gott!
Amen.





(Anmerkung: Das Original dieser Predigt wurde ursprünglich mit einer Schreibmaschine geschrieben und dann teilweise manuell nachkorrigiert. Dies führt dazu, dass einzelne Wörter, welche nicht eindeutig lesbar waren «rekonstruiert» werden mussten. Der Inhalt wurde dadurch aber nicht verfälscht.)