Alles ist Gnade
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29.07.1951 / 11. Sonntag nach Pfingsten
Geliebte im Herrn!
Alles, was wir haben, sind lauter Gottes Gnaden. Mit den Worten des Heiligen Paulus ausgedrückt. “Durch die Gnade Gottes bin ich, was ich bin.“ (1. Korinther 15,10) Das klingt ganz anders als die Selbstüberheblichkeit des Pharisäers, der die guten Werke sich selbst zuschrieb. Es gleicht eher der demütigen Haltung des Zöllners, der seine Sünde als sein Werk anklagte. „Durch die Gnade Gottes bin ich, was ich bin.“ Wie stehe ich zu dieser Wahrheit des Evangeliums? Was nenne ich mein Eigen? Meine Talente, meine Körperkraft, meine Seelenstärke, sind das nicht Gnaden? Unsere Gesundheit, auch unsere Krankheit oft noch mehr, unsere heilige Religion-unverdiente Gnaden! Spüren wir aber wirklich, dass wir von Gottes Gnaden umgeben sind, ja von ihm abhängig sind? Warum so viele Gleichgültige, warum so viele Gottesleugner? Warum dieser Triumph der Feinde Christi, wie wir ihn heute erleben? Dennoch steht in der Bibel geschrieben: „Ohne mich könnt ihr nichts tun“. Diese Wahrheit gilt zwar in erster Linie für unsere guten Werke, indirekt aber auch für jede menschliche Tat. Gott selbst macht die Zunge nicht stumm, wenn sie lügen will, er macht die Hand nicht lahm, wenn sie töten will. Damit wird aber Gott nicht mitschuldig, sondern der Mensch missbraucht Gottes Gut zu gottwidriger Tat. Diese Freiheit respektierte Gott selbst bei der Tötung des Gottessohnes, aber nicht, ohne ein Zeichen seiner Allmacht zu geben.
Geliebte! Ihr kennt die Szene im Ölberg. Mit Schwertern und Knütteln bewaffnet stehen die gedungenen Söldner Judas vor Jesu. 100 gegen einen. - Es ist klar, wer gewinnt. Da kommt die Frage in die nächtliche Stille: „Wen suchet ihr?“ „Jesus von Nazareth.“ - „Ich bin es“. Und schon liegen alle wie Kinder, die noch nicht recht gehen können, wehrlos am Boden. Dass Jesus sich dennoch gefangen nehmen lässt, geschieht aus Gnade für uns.
Dann kommt die Stunde vor dem kaiserlichen Statthalter, vor Pilatus. Das Schweigen Jesu geht ihm auf die Nerven und im Bewusstsein seiner hohen Autorität spricht er: „Weisst du nicht, dass ich Macht habe, dich kreuzigen zu lassen und Macht habe dich freizugeben?“ Jesus entgegnete ihm ruhig und überlegen: „Du hättest keine Macht über mich, wenn sie dir nicht von oben gegeben wäre.“ (Johannes 19,11) Warum darf er Gottes Sohn verurteilen, ja sogar töten lassen? Wegen unserer Erlösung, also aus lauter Gnade.
Wie erklären wir aber die heutige Verfolgungszeit, die Märtyrer und Bekenner in den höchsten kirchlichen Kreisen wie die Erzbischöfe: Stepinak, Beran, Mindszenty und Grösz? Wie lässt Gott unmenschliche Quälereien zu, die die Christen entkräften und durch Einspritzungen so weit bringen, dass sie sich öffentlich im Radio (selbst) anklagen und durch die grössten Lügen sich beschämen? Warum die Einkerkerung des ganzen Bischofskollegiums in Ungarn? Warum die konsequente Vernichtung der Klöster und christlichen Schulen? Warum die Deportierung und Versklavung des Volkes? Geschieht dies alles aus Gnade? „Es werden falsche Messias und falsche Propheten auftreten und große Zeichen und Wunder tun, um womöglich auch die Auserwählten irrezuführen.“ (Matthäus 24.24) „An ihren Früchten aber werdet ihr sie erkennen.“ Wer hat unserer Zeit die Kenntnis der falschen Propheten beigebracht? Wer hat dem zweifelnden Westen die Augen geöffnet? Nicht die Tyrannei im Osten, nicht die politischen Schauprozesse in Moskau, nicht die Konzentrationslager von Sibirien. Nein, erst ein Mindszenty-Prozess. Und wenn es noch solche gab, sie zählten als nicht wenige, die in ihrer materialistischen Einstellung die mutige und kompromisslose Haltung des Kardinals als Einmischung in die Politik Ungarns anklagten, so sind sie heute nach dem Prozess des Erzbischofs Grösz unentschuldbar eines Besseren belehrt worden. Muss ein Hirte sich nicht wehren, wenn seine Herde von Wölfen zerrissen wird? Wer dem Kommunismus und den Kommunisten um des Friedens willen entgegenkommt, übt Verrat an seinem Christentum. Wie Recht Mindszenty gehandelt hatte, zeigt sich nun, am Prozess des zweithöchsten Kirchenfürsten von Ungarn Erzbischof Grösz, der mit der gleichen Gerichtskomödie zu 18 Jahren Zuchthaus verurteilt worden ist. In seiner hohen Würde blieb Grösz weiter der einfache leutselige Priester, der er schon als Landpfarrer war: Ein gütiger Vater seiner Herde. Die Fotoaufnahmen zeigen ihn stets inmitten der gläubigen Bauern und Arbeiter sie ermunternd und fröhlich lächelnd. Selten redete er öffentlich und dann nur friedliebend und gewinnend. Er ging an die Grenzen der möglichen Zugeständnisse, aber keinen Schritt weiter. - Darum musste er fallen. Die Wege des unerschrockenen Kämpfers Mindszenty und des liebenswürdigen Hirten Grösz mündeten gleicherweise im Martyrium. Das gemeinsame Opfer hat allen gut Gesinnten klar gemacht, dass es beim Kommunismus nicht um den einzelnen Menschen geht, sondern um die zielbewusste Entgöttlichung und Versklavung der gesamten Welt. Wenn daher heute die ungarische Kirche, heldenmütig wie ein Winkelried, unsere Religion und unsere Freiheit verteidigt, ist das nicht eine große Gnade Gottes? Nicht nur für uns, sondern auch für die Leidenden, denen Gott dieses Opfer zutraut. Es führt zu ihrer einstigen Verherrlichung.
Geliebte! „Durch die Gnade Gottes bin ich, was ich bin. Und seine Gnade ist in mir nicht unwirksam gewesen.“ Können wir auch von uns sagen, dass Gottes Gnade in uns wirksam war, dass wir die Zeichen der Zeit erkannt und danach gehandelt haben? Wie klein stehen wir neben den Märtyrern von Ungarn, wenn wir uns unseres Glaubens wegen schämen. Glaubt ihr das solche bereit wären die Prüfung zu bestehen, so Gott sie von uns blutig verlangte?
Amen.