Jener muss wachsen, ich muss abnehmen!

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07.12.1947

Motiv: Illum oportet crescere, me autem minui – Jener muss wachsen, ich muss abnehmen! Joh.3,30

Geliebte in Christus!

Aus dem Evangelium wissen wir, dass Johannes im Kerker ist. Warum? Weil er in seinem Beruf keine Menschenfurcht kannte. Der Vorwurf an Herodes Antipas: „Es ist dir nicht erlaubt deines Bruders Weib zu haben“ (Mk. 6,18), brachte ihn in Ungnade besonders beim arglistigen Weib des Herodes. Und so liegt er denn gefangen in der Festung Machärus am Toten Meer. Seine Schüler besuchen in dort mehr als ihm lieb ist. Sie bringen ihm, wie eine Zeitung heute, Nachrichten über das was im Lande läuft. Diesmal sind es wieder Neuigkeiten über Jesus von Nazareth. Solches hört der Täufer gerne, und er spricht mit seinen Schülern darüber. Was bewegt ihn aber nun eine Zweierdelegation an Christus zu senden und ihn fragen zu lassen: „Bist du es der da kommen soll?“ (Mt. 11,3). Wir wollen daher liebe Christen den ersten Teil des heutigen Evangeliums hernehmen und diese Frage des Johannes, sowie die Antwort Jesu etwas näher betrachten.

I.

„Bist du es, der da kommen soll?“ Wie kommt Johannes überhaupt dazu an seine Schüler einen solchen Auftrag zu geben? Hatte er nicht während seiner öffentlichen Tätigkeit Jesus klar als den kommenden Messias bezeugt? Die Lösung der Frage ist sicher schwierig, und falsche Erklärer haben versucht ihn irgendwie zu beschuldigen. In seiner Kerkerhaft seien ihm Zweifel gekommen, ja er habe den Glauben an den Messias völlig aufgegeben. Doch schon die Kirchenväter weisen ein solches Ansinnen zurück. (Chrysost.) Denn dass der hl.Vorläufer so aus seinem Beruf gefallen wäre, dass er Gott versucht hätte, ist undenkbar. Ein Zweifel aber liegt gleichwohl in der Frage: „Bist du es, der da kommen soll?“ Seine eigenen Schüler waren es, die an der Messianität Jesu zweifelten. Das war ein Grund dieser Anfrage.

Johannes hatte am Jordan zahlreiche gut gesinnte Männer um sich versammelt. Viel Volk lauschte seinen Busspredigten und liessen sich taufen. Auch Jesus liess sich taufen. Wie der Täufer am folgenden Tage Jesus auf sich zukommen sah, sprach er zu allen: „Sehet das Lamm Gottes, das hinwegnimmt die Sünden der Welt.“ (Joh. 1,29). „Dieser ist der Sohn Gottes.“ (Joh. 1,34). „Er muss wachsen, ich muss abnehmen.“ (Joh. 3,30). Hatten nicht damals mit Johannes dem Evangelisten und Andreas auch viele andere die Weisung des Vorläufers verstanden und waren dem Heiland nachgefolgt. Doch einige blieben am Jordan und verwechselten die Sonne mit der (aufgehenden) Morgenröte. „Er Johannes selbst war nicht das Licht. Er sollte nur Zeugnis von dem Lichte geben. Er, Jesus war das wahre Licht.“ (Joh. 1,8-9). Und so schauten die Johannes Jünger mit scheelen, halbverschlossenen Augen auf den wachsenden Einfluss Christi.

Im Angesichte des Todes versuchte der Täufer noch einmal diesen, seinen Jüngern die Augen zu öffnen. Noch mehr, er wollte dadurch auch dem wankelmütigen Volke einen letzten Hinweis auf Christus geben.

So kommt die Gesandtschaft des Täufers an den See Genesareth. Die Strassen sind sehr bevölkert und die Leute unterhalten sich eifrig über neue Taten und Wunder des Nazareners. Sogar einen Toten hat er auferweckt, den Jüngling von Naim. – Endlich treffen Sie auf den Heiland, der von einer Menschenmenge umgeben ist. Das Volk kennt die zwei neu Angekommenen und macht Platz. Alles ist Aug und Ohr. – Bitten sie ihn vielleicht beim König ein gutes Wort für den Täufer einzulegen? Schon stehen sie vor dem Meister und sprechen ihn an: „Johannes der Täufer hat uns zu Dir gesandt und lässt Dir sagen: Bist Du es der da kommen soll, oder sollen wir einen anderen erwarten“(Lk. 7.20) – Welch eine Botschaft aus dem Kerker? Welch ein Wort aus dem durch Gewalttat verschlossenen Munde? Es war eine feierliche Anfrage an Den, für welchen er einst selbst gezeugt hat. – Das genügte, um eine tiefe Bewegung unter dem anwesenden Volke hervorzurufen, und spannte die Aufmerksamkeit noch mehr auf das, was Jesus antworten würde.

II.

Meine lieben Christen! Auch wir stehen jetzt bei Jesus und hören zu, was Er ihnen sagt, denn es gilt den Glauben der Christen zu stärken auch in unseren Tagen. Die Antwort war überraschend: „Gehet hin, kündet Johannes was ihr höret und sehet: Blinde sehen, Lahme gehen, Aussätzige werden rein, Taube hören, Tote stehen auf, Armen wird die Frohbotschaft verkündet!“ (Mt. 11,4-5). Hätte Er nicht besser gesagt: „Ja, Ich bin es“. Doch nein, nicht mit lauten Beteuerungen, sondern mit augenscheinlichen Beweisen zeigt Er, dass Er der verheissene Messias ist. Er will unsere Herzen und die Herzen der Juden durch die Zeichen der Wunder zum Glauben bringen. Darum kann er später zu den Ungläubigen sagen: „Wenn ihr meinen Worten nicht glaubt, so glaubt wenigstens meinen Werken!“. „Ja gerade die Werke, die ich vollbringe, geben Zeugnis von mir.“ (Joh. 5,36). Ihr forscht in den Heiligen Schriften, weil ihr in ihnen das ewige Leben zu haben meint. Eben Sie sind es die für mich Zeugnis geben.“ (Joh. 5,39).

Und darum beruft er sich hier auf messianische Stellen des grossen Propheten Jsaias, der 700 Jahre vor Ihm gelebt hatte, und den das Volk aus den Synagogen-Gottesdiensten gut kannte. Eine Weissagung lautet; „Der Geist des Herrn ist über mir, weil der Herr mich gesalbt hat, die frohe Botschaft den Armen zu bringen; weil Er mich gesandt hat, die gebrochenen Herzens sind zu heilen.“ (Js. 61.1). Und eine andere: „Alsdann werden der Blinden Augen geöffnet, der Tauben Ohren aufgetan; alsdann werden die Lahmen springen, und die Zunge der Stummen wird lobsingen.“ (Js. 35,5).

Die Antwort Jesu will also nicht nur sagen: „Seht, ich wirke Wunder, die kein anderer vollbringen kann und bin daher der Messias; sondern, vergleicht, was die Propheten Jahrhunderte vorher über den Messias geweissagt haben, mit meinen jetzigen Taten, und dann entscheidet selbst, ob ich der Messias bin oder nicht.“ – Wie sollte ihnen Christus sein Amt besser beweisen?

III.

Dennoch meine lieben Christen, gibt es immer solche, die ihr Auge dem Wunder verschliessen, die ein taubes Ohr haben für die Wahrheit, weil sie von Vorurteilen befangen, mit ihrem schlechten Willen die bessere Erkenntnis töten. Auf sie trifft das Schriftwort: „Immerfort werdet ihr hören, aber nicht verstehen; immerfort werdet ihr sehen, aber nicht erkennen.“(Js. 6). Nicht umsonst mahnt der hl. Paulus die Hebräer: „Seht zu Brüder, dass keiner von euch ein böses Herz hat, das im Unglauben vom lebendigen Gott abfällt! Ermahnt vielmehr einander jeden Tag, damit niemand von euch durch den Trug der Sünde verhärtet wird!“ (Hebr. 3.12…).

Christus sah diese Verhärtung in vielen Seelen seiner Zuhörer. Darum fügt er der Antwort bei an die Johannes-Jünger „Und selig, wer sich an mir nicht ärgert!“ (Mt. 11,6).
Wir wollen uns nicht ärgern, wie die Juden, die trotz Wundern den Jüngern Jesu vorwerfen konnten: „Warum isst eurer Meister mit Zöllnern und Sündern?“ (Mt. 9,14).
Hören wir die klare Antwort des Herrn auch wieder hier: „Nicht die Gesunden bedürfen des Arztes, sondern die Kranken.“ (Mt. 9,12). „Und können die Hochzeitsgäste trauern, solange der Bräutigam bei ihnen weilt? Es werden aber Tage kommen, da ihnen der Bräutigam entrissen wird. Dann werden sie fasten.“ (Mt. 9,15).
Wie Christus durch die Wunder, so versuchte sein Vorläufer durch das Wort das israelitische Volk auf die Erlösung vorzubereiten - auf den Glauben an Christus den Messias. Treu seiner Aufgabe übergibt er seine Jünger dem Herrn. Treu seiner Berufung stirbt er als Märtyrer: „Er muss wachsen, ich muss abnehmen.“ Wirklich, er hat Wort gehalten.

Meine Lieben Christen! Ist das nicht auch ein schönes Vorbild für uns in der Adventszeit? „Er muss wachsen, wir müssen abnehmen.“ Abnehmen in den alten sündigen Gewohnheiten: dem Fluchen, der eitlen Lustbarkeit, dem Neid. Zunehmen aber in den Tugenden, in der Liebe zu Gott und zum Nächsten: durch Eifer im Gebet und Sakramenten-Empfang, durch Fleiss und Sparsamkeit. Machen wir einen, nur einen festen Vorsatz, dann sind wir auf dem Weg zum Himmel. Probieren wir es einmal. Bereiten wir unsre Seele vor auf Weihnachten mit einem festen Vorsatz. Dann hat der hl. Johannes nicht umsonst seine Frage an den Herrn gerichtet. Legen wir ab unsere Vorurteile gegen den Nächsten, gegen die Glieder der Kirche, gegen unsere eigene Schwachheit, denn wir sind stark in Christus, der allen guten willens seinem Beistand, aber auch seinen göttlichen Frieden gibt.

Amen.





(Anmerkung: Das Original dieser Predigt wurde ursprünglich mit einer Schreibmaschine geschrieben und dann teilweise manuell nachkorrigiert. Dies führt dazu, dass einzelne Wörter, welche nicht eindeutig lesbar waren «rekonstruiert» werden mussten. Der Inhalt wurde dadurch aber nicht verfälscht.)