Demut vor Gott

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02.09.1951

Geliebte in Christus!

„Wer sich selbst erniedrigt, wird erhöht werden. Und wer sich selbst erhöht, wird erniedrigt werden!“ Jesus hatte zugesehen, wie sich die Geladenen bei einem Gastmahl bemühten die ersten Plätze einzunehmen. Die Apostel sahen es auch, und wollten gewiss als Begleiter und Jünger Jesu nicht zuletzt berücksichtigt werden. Da bot sich eine gute Gelegenheit seinen Jüngern vom Anstand unter den Menschen zu sprechen und damit eine Lehre vom Anstand, d.h. von der Demut vor Gott zu verbinden. Wenn du dich nicht beschämen willst, nimm den letzten Platz ein; denn wo immer der Hochmut auftritt, sei es vor Gott oder vor Menschen, sei es innerlich oder äusserlich, wird er am Ende Schaden ernten. Wer dagegen demütig ist, mag er noch so verachtet werden, so verborgen bleiben, wird ans Licht gezogen und nach Verdienst erhöht werden, wenn nicht hier so im Jenseits. Darf man also nicht nach Höherem streben, nach einem grösseren Amt, nach Besserstellung im Beruf, nach Überwindung einer Schwierigkeit? Der hl. Paulus schreibt seinem Schüler Timotheus: „Das Bischofsamt erstreben ist etwas Gutes“. Demut besagt nämlich nicht: Talente vergraben. Gott hat sie zur Entfaltung gegeben und verlangt einmal Rechenschaft davon.
Aber, dass man die Talente sich selber zuschreibt, das ist der Irrtum der Menschen. Das tötet die Demut vor Gott, die uns Jesus in Wort und Beispiel als Ideal des Christentums gezeigt und zur Nachahmung befohlen hat: „Lernet von mir, denn ich bin sanftmütig und demütig von Herzen! Und ihr werdet Ruhe finden für eure Seelen.“

Dazu gehört also Demut vor Gott.
Geliebte im Herrn! Das Wort Demut findet sich in keinem Buch eines heidnischen Weltweisen. Man findet dort wohl ganz schöne Sittenlehren, aber die Lehre der Demut ist nicht dabei. Die Demut hat eben einen anderen Ursprung. Sie kommt von Christus (Augustinus). Denn der Inbegriff christlicher Weisheit besteht in aufrichtiger, freiwilliger Demut (vor Gott), wie sie der Herr Jesus Christus vom Mutterschose an bis zum Tod am Kreuz für sich erwählt und uns gepredigt hat. Obwohl er ewiger Gott war, wesensgleich mit dem Vater, wurde er der Sprössling einer verachteten Stadt. „Kann denn aus Nazareth etwas Gutes kommen?“, sagte damals Natanael zum Apostel Philip. Er hatte die Freiheit der Apostelwahl. Warum hat er seine Jünger nicht aus den höheren Kreisen genommen, aus denen der treue Anhänger Nikodemus stammte? Warum hat er den Königstitel abgeschlagen, der dank seiner Wunderkraft ihm angeboten wurde? Warum hat er den Triumpfzug von Jerusalem nicht zu seiner Verherrlichung ausgenützt?
Christus ist nicht gekommen, seinem Vater die Ehre zu nehmen, sondern sie an unserer statt ihm wieder zurückzugeben. Alles was er tut ist daher demütige Unterwerfung unter den Willen des Vaters. Demut ist die Grundhaltung Jesu in seinem ganzen Leben. Es ist daher klar, dass die Religion, die er gegründet, diese Grundhaltung widerspiegeln muss.
Der hl. Augustinus sagt: „Wenn du wissen willst, was das Erste sei in der Religion Christi, so antworte ich dir: Da erste ist die Demut, das Zweite ist die Demut und das Dritte ist wiederum die Demut, wahre, freiwillige Demut.“ Die verschiedenen Pflichten, die wir Christen erfüllen müssen, die mannigfachen Tugenden, nach denen wir streben wollen, sind sie nicht verschiedene Arten der Verdemütigung vor Gott und den Menschen! Wir beten: Wir beugen uns vor seiner Allmacht, wir flehen in unserer Ohnmacht, wir bekennen zerknirscht unsere Sündhaftigkeit. Jedes Gebet ist somit eine Verdemütigung. Und der Glaube. – Er ist Demut des Verstandes, der sich Gott und der Lehrautorität seiner Kirche beugt, sich ihr ausliefert. Der Gehorsam gegen die Gebote Gottes und der Kirche ist Demut des Willens, der sich dem Höheren fügt. Die heiligen Sakramente sind Arzneien und Stärkungen unserer Seele, die Zeugnis geben, wie unsere Seele hilflos und bedürftig ist, gleich wie der Kranke vor dem Arzt seine Ohnmacht kundtut, wenn er ihn zu Hilfe ruft. Und erst das hl. Bussakrament. Liegt nicht darin für einen jeden von uns die schwerste Verdemütigung der Selbstanklage und der Selbstverurteilung? Wer könnte noch als Christ eine stolze Meinung von sich haben, da die demütige Haltung, das geistige, religiöse und sittliche Leben des Christen durchwirken muss. Keine Nachfolge Christi ohne Demut. Es gibt überhaupt keine Religion ohne Demut. Wenn das Christentum nur Haut ist, reine Oberfläche, Fassade, nicht mehr Herz und Blut, müssen wir uns nicht wundern, wenn heute aus dem Schafsfell der Wolf, aus dem Christentum der Kommunismus herausbricht: aus dem Menschen die stolze Gleichsetzung mit Gott.

Geliebte! Entschuldigen wir uns nicht, dass es bei uns nicht soweit ist. Ein jeder trägt den Keim des Stolzes in sich. Lässt du ihn gewähren, bringt er dich bald in Zwiespalt mit dem Glauben. Er beginnt unmerklich und sei es nur mit einer mehr oder weniger berechtigten Kritik an Erlassen der Kirche und Mahnungen des Seelsorgers. Der Kirchenbesuch wird zum Verdruss, das Gebet zur Last, das gute Werk zur Verkleidung. Daraus wächst der Christ, der eitel und selbstsüchtig nur die menschliche Anerkennung sucht, dem Vater die Ehre nimmt, die Christus mit den Christen wieder herstellen wollte. „Wer sich selbst so erhöht, wird erniedrigt werden.“
Meine lieben Christen! Demut ist Wahrheit. – Demut vor Gott, ist Anerkennung, dass wir aus nichts erschaffen, aus Liebe Erlöste ihm ganz angehören. Leben wir als Christen, dass Gott über uns verfügen darf in Freud und Leid, dann „werden wir Ruhe finden für unsere Seelen“.

Amen.





(Anmerkung: Das Original dieser Predigt wurde ursprünglich mit einer Schreibmaschine geschrieben und dann teilweise manuell nachkorrigiert. Dies führt dazu, dass einzelne Wörter, welche nicht eindeutig lesbar waren «rekonstruiert» werden mussten. Der Inhalt wurde dadurch aber nicht verfälscht.)