Gott ist die Liebe

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22.04.1951 / 4. Sonntag nach Ostern

In Christus Geliebte!

Der Herr ist gut! – So beendigte der grosse Volksmissionar und Diener Gottes P. Rupert Mayer von München sine letzte Predigt und fiel dann bewusstlos auf die Kanzel nieder um nie mehr zu erwachen. Gott ist gut, und „jede gute Gabe kommt von oben, vom Vater der Lichter.“ Die Welt hat er erschaffen. Aber sehen wir nicht in der Natur überall den Kampf ums Dasein? Den Menschen hat er erschaffen. Aber steckt nicht jedes Herz voller Zündstoff zum Bösen? Geschieht nicht gerade in der Menschenwelt soviel Unrecht und Gewalttat, Neid und Missgunst, Härte und Grausamkeit! Kommt das von oben? Denken wir nur einmal wieviele Menschen auf Erden in brutalster Weise vergewaltigt, unterdrückt, zertreten, hingemordet worden sind und noch werden! Ist es da nicht begreiflich, dass Menschen an der Liebe Gottes irre werden? Und doch sagt Jakobus: „Jede gute Gabe und jedes vollkommene Geschenk kommt von oben, vom Vater der Lichter.“ Warum kann er das sagen? Jakobus hat Gott gesehen, ist Apostel Christi gewesen, der erklärte: „Wer mich sieht, sieht den Vater. Denn ich und der Vater sind eins“ (in der Gottheit). Gott hat geoffenbart in der zweiten Person, die Menschengestalt annahm, in Christus, und durch seine Lehre und sein Leben uns den Beweis gebracht, dass Gott die Liebe ist. Lasst uns heute ein wenig über dieses Geheimnis nachdenken, um unsere Gottes- und Nächstenliebe wieder zu beleben!


Geliebte im Herrn! „Ein neues Gesetz gebe ich euch: Liebet einander, wie ich euch geliebt habe!“ (Jh. 13,34). Ist das Gebot wirklich so neu, wie Christus verkündet? Der Alte Bund kannte auch das Gebot der Liebe. „Du sollst deinen Nächsten lieben, wie dich selbst,“ hatte der Pharisäer prompt geantwortet. Aber man stritt darüber, wer der Nächste sei und kam nicht über die geographischen Grenzen des Judenlandes hinaus. Die Parabel vom barmherzigen Samariter war darum den Juden ein peinlicher Vorwurf. Schliesslich sprengte Christus die letzten Fesseln der Nächstenliebe mit den Worten: „Liebet einander, wie ich euch geliebt habe!“ Das heisst: die Beweggründe, die seine Liebe erzeugten und das Mass in dem er diese Liebe übte, sollen wir uns zu eigen machen! Nun besteht aber ein grosser Unterschied zwischen der Liebe des Menschen und der Liebe Gottes. Der Mensch hat Liebe oder hat sie nicht. Gott aber ist die Liebe. Sie ist für ihn nicht etwas Zufälliges, nicht nur etwas Notwendiges – er selbst ist die Liebe. Liebe ist sein Wesen, sein Leben. Die Liebe ist so alt und so neu wie Gott. Sie ist ewig, hört nie auf. Dieser höchste Gottesbegriff hat das alte Testament noch nicht klar verkündet. Nie hätte ein Mensch durch eigenes Nachdenken auf diese Idee kommen können. Plato, der grösste vorchristliche Denker, der einen hohen Gottesbegriff hatte, sagte, dass Gott nicht lieben könne, da ihm die Möglichkeit dazu fehle. Er kannte eben nicht den Dreifaltigen Gott, der auch vor der Schöpfung seine Liebe betätigen konnte. Der Vater liebt den Sohn. – Hat er nicht am Jordan bekannt: „Das ist mein geliebter Sohn, an dem ich mein Wohlgefallen habe.“ Und der Sohn liebt den Vater.“ Ich tue allezeit, was ihm wohlgefällt.“ Diese Liebe ist so gross und fruchtbar, dass diese gegenseitige Liebe selbst Person wird, der Heilige Geist, der vom Vater und vom Sohn ausgeht. Gott war also keine thronende Einsamkeit, sondern von Ewigkeit her tätige Liebe.


Meine lieben Christen! Wenn nun Gott die Schöpfung ins Dasein rief, dann geschah auch das aus Liebe und wir wissen, dass alles, selbst das unscheinbare Käferlein des Urwaldes, der kleinste Sein am Meeresstrande, von dieser Eigenschaft Gottes Zeugnis geben. 
Erst recht ist jeder Mensch, der über die Erde geht, ein Kind der ewigen Liebe. Nicht genug damit. Gottesliebe kennt keine Grenzen der Herablassung. Gott will in der zweiten Person durch eine unauflösliche Verbindung mit der Menschennatur, mit der Krone der Schöpfung, das ganze Universum auf das innigste mit sich vereinigen. Diese Herabkunft des Gottessohnes wäre auch geschehen, so nehmen viele Gottesgelehrte an, ohne die Sünde unserer Stammeltern. Durch die Sünde wurde Sühne und Erlösung nötig. Wer konnte sie leisten? Das Gottes Sohn sich anerbot, die Menschen der Sünde und dem ewigen Tod zu entreissen, ist nur verständlich, weil Liebe sein Wesen ist. Dem kalten Verstande mag das unfassbar erschienen, den Kleinen und Demütigen aber wird es geoffenbart.

Geliebte! Wer von uns hat Gott zuerst geliebt? Oder ist es nicht eher so, dass Gott uns liebte, bevor wir überhaupt seine Liebe erwidern konnten. „Darin zeigt sich die Liebe“, sagt der Apostel Johannes, „Nicht wir haben Gott geliebt, sondern er hat uns geliebt und seinen Sohn gesandt als Sühneopfer für unsere Sünden.“ (1. Jh. 4,10). In der Taufe wurden wir der Früchte dieses Sühneopfers teilhaftig. Christus kämpft mit uns gegen das Böse, muntert uns auf für das Gute durch sein Wort, sein Beispiel, eine Gnade. In der Jugend mag der Mensch diese Auffassung als schöne Idee betrachten, besonders, wenn er glaubt, alles selber zu bestimmen, alles selber zu vollbringen. Misserfolg, Fehlgriffe und Krankheiten machen ihn aufmerksam auf eine höhere Macht. Ungerechtigkeit, Krieg, Verfolgung, Grausamkeit kommt nicht von Gott. Öffnet aber oft unsere Augen für die Wahrheit. Und schaut ein gläubiger Mensch in reiferen Jahren auf seinen Lebensweg zurück, muss er bei allem mit dankerfülltem Herzen gestehen: Gott ist gut, er hat alles recht gemacht. Wenn er strafte, tat er es aus Liebe, wie ein guter Vater am Kind die Rute nicht sparen darf, wenn es etwas Rechtes werden soll, so auch Gott, wenn er uns für die selige Teilnahme seiner Liebe erziehen will.


Darum Geliebte, hören wir auf die Mahnung des Apostels der Liebe, des hl. Johannnes (1.4,11): „Wenn Gott uns so sehr geliebt hat, müssen auch wir einander lieben.“

Amen.





(Anmerkung: Das Original dieser Predigt wurde ursprünglich mit einer Schreibmaschine geschrieben und dann teilweise manuell nachkorrigiert. Dies führt dazu, dass einzelne Wörter, welche nicht eindeutig lesbar waren «rekonstruiert» werden mussten. Der Inhalt wurde dadurch aber nicht verfälscht.)